Helvetia Baloise: Keine Flucht aus St.Gallen, sondern Flucht nach vorn

* Der geplante Stellenabbau und der Wegfall des Holdingsitzes der Helvetia Versicherung macht Sorgen. * Befürchtet werden steuerliche Mindereinnahmen für die Stadt und den Kanton St.Gallen, doch das trifft nicht zu. * Andere Faktoren sind für die Ostschweiz und das Management grösser.

Business Class Ost
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Veröffentlicht am

23.4.2025

 von 
Eckhard Baschek

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KOMMENTAR

Fusion Helvetia Baloise Kommentar

Wie immer, wenn wie über Nacht eine Fusion bekanntgegeben wird, stellt sich die Frage nach Gewinnern und Verlierern. Zwar wird die Baloise in die Helvetia fusioniert, und das neue Gebilde heisst «Helvetia Baloise Holding AG», und die Aktionärsanteile lieben bei 47 bzw. 53 Prozent. Auch bei der Besetzung der Chefposten (Chefinnen sind kein Thema) ist man um Ausgleich bemüht, übernimmt doch gemäss Planung der Helvetia-CEO die operative Führung des Gesamtgebildes, während die Baloise den Verwaltungsratspräsidenten stellt.

Verliererinnen und Verlierer sind in erster Linie die Angestellten beider Versicherer, und das nicht nur in St.Gallen, sondern auch in Basel und anderswo. Immerhin sollen sich die jährlichen Spareffekte in den nächsten drei Jahren auf jährlich 350 Millionen Franken belaufen. Dem stehen Integrationskosten (Abfindungen, Sozialpläne, Rebranding usw.) von insgesamt 500 bis 600 Millionen Franken gegenüber.

Eine Frage der Timeline

Wichtig ist bei aller Sorge, dass die Fusion erst im letzten Quartal dieses Jahres erfolgen soll, das Closing, also wenn man sozusagen den Sack zumacht, fällt auf Ende Jahr. Und die Fusion wird eben drei Jahre dauern. Es wird jetzt also nicht gleich zu Entlassungen im grossen Stil kommen, und einige Kaderleute haben ja bereits ihren Abgang angekündigt. Auch wenn das nicht zwingend mit der Fusion zu tun haben muss, ist doch schon länger bekannt, dass sich die Helvetia in letzter Zeit schwertat und bereits Anfang Januar einen Abbau von tausend Stellen in Aussicht stellte, fünfhundert davon in der Schweiz. 200 Millionen Franken Einsparungen waren das Ziel. Und Ende Februar begannen sich die Gerüchte zu verdichten, die Helvetia wolle ihre zwei deutschen Versicherungstöchter und eine Niederlassung in Deutschland abstossen.

Das zeigt: Die Fusion ist eher ein Teil der Lösung als das eigentliche Problem. Denn einfach weitermachen wie gehabt, wäre für die Helvetia kaum in Frage gekommen. Der Versicherungsmarkt in der Schweiz und in Europa ist hart, weshalb die Grösse hier doch eine Rolle spielt. Mit einem gemeinsamen Marktanteil von fast 20 Prozent in der Schweiz kann man anders agieren als mit den jeweiligen 10 Prozent. Ein Thema ist hier das Niederlassungs- bzw. Agenturnetz. Zwar wird es zu Doppelspurigkeiten kommen, gleichzeitig kann die Helvetia Baloise so näher an ihre Kundinnen und Kunden rücken.

Die Sache mit den Steuern

Natürlich ist der Wegfall des Helvetia-Holdingsitzes ein Reputationsverlust für die Stadt und den Kanton. Aber wäre ein schleichender Abbau der Steuereinnahmen langfristig eine gute Alternative gewesen, oder überwiegen die Vorteile durch ein erfolgreicheres Wirtschaften als Helvetia Baloise? Man darf nicht vergessen: Der Baloise sitzt der schwedische Finanzinvestor Cevian im Nacken, der grösster Baloise-Aktionär ist und auf Effizienzgewinne pochen dürfte – und bald auch Einsitz im Verwaltungsrat nehmen wird. Also wären wohl auch auf Basler Seite schmerzliche Schritte ins Haus gestanden. Die Tatsache, dass die mit etwas mehr als einem Drittel grösste Aktionärin der Helvetia, die Patria Genossenschaft, der Fusion bereits zugestimmt hat und die Börsen den Zusammenschluss in ersten Reaktionen mit einem Kursanstieg von 2,9 Prozent für Baloise und 1,9 Prozent für Helvetia quittierten, spricht für die Fusion.

Fazit: Reisende soll man nicht aufhalten. Für die Ostschweiz hat der Verlust des Holding-Sitzes keine steuerlichen Nachteile und ist alternativlos. Die Forderung, die Stadt hätte sich im Vorfeld mehr für eine Beibehaltung des Holdingsitzes einsetzen sollen, greift also komplett ins Leere, da die Holding in St.Gallen gar keine Steuern zahlen musste. Und wenn man der Verwaltung schon mehr Effizienz wünscht, dann doch am besten, indem man nicht versucht, Abgänge zu verhindern, sondern sich darum bemüht, Unternehmens-Neuansiedlungen zu fördern. Das geschieht tatsächlich, und zwar auf eidgenössischer, kantonaler und Ostschweizer Ebene.

Kommt dazu, dass die jeweiligen Generalagenturen eigene Steuersubjekte darstellen, die weiterhin Steuern zahlen. Wichtig ist einzig, dass das neue Gebilde am Markt funktioniert und entsprechend Steuern abliefert.

Die Gretchenfrage der Unternehmenskultur(en)

Was die Geschäftsleitungen beider Versicherer viel mehr umtreiben wird, ist die Frage der Unternehmenskulturen. Auch wenn sie einander ähneln mögen (wovon nicht alle Angestellten überzeugt sind, und sie müssen es wissen), ist die Herausforderung riesig, mental alle ins gemeinsame Boot zu holen. Es ist leider sehr häufig so, dass rechnerische Synergieeffekte von mangelnder Motivation, Offenheit und Transparenz mehr als zunichte gemacht wurden. Wenn beide Seiten darauf warten, dass sich die andere auf sie zubewegt, wird es schwierig. Die Warnung steht im Raum: Studien haben gezeigt, dass Fusionen von Partnern mit ähnlicher Unternehmenskultur häufig auch nicht besser, sondern eher schlechter funktioniert haben. Hier liegt eine grosse Verantwortung beim Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung, aber auch bei den Angestellten selber. Die Aussage der beiden Versicherer, «die grosse kulturelle Nähe und die ähnliche strategische Ausrichtung» beider Unternehmen seien «beste Voraussetzungen für eine reibungslose Integration», ist entweder blauäugig oder der Versuch, nach aussen alles entspannt wirken zu lassen.

Die Fusion mit der Aufhebung des St.Galler Holdingsitzes ist eben keine Steuerflucht aus St.Gallen, sondern eine gemeinsame Flucht nach vorn.

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